Unsere Freiheit – und unsere Angst

unsere freiheit

 

Unsere Freiheit, also auch das Bewusstsein, dass wir selbst die Gestalter unseres Lebens sind, ist paradoxerweise für viele Menschen ein großes Problem. Immer wieder arbeite ich mit Klienten, die mir „Aufträge übergeben“, welche nur im eigenen Verantwortungsbereich gelöst werden können – der eigene Veränderungsprozess wirkt also wie ein passives oder reaktives Konstrukt, und mir als Therapeut oder Supervisor wird die Verantwortung für wichtige Entscheidungen oder Entwicklungsschritte übertragen. Nach dem Motto: „Ich muss in meinem Leben Einiges ändern – sagen Sie mir, was ich tun soll!“… Widersprüchlich, nicht wahr?

Auch in Unternehmen, oder bei Führungskräften, die zum Coaching erscheinen und ordentlich Geld auf den Tisch legen, gibt es oft den geheimen Wunsch, dass sich eigentlich möglichst wenig verändern sollte – aber schon „Alles anders werden muss“. Übertragen formuliert: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“ Auch paradox. unsere freiheit

Die Freiheit stellt für die meisten von uns ein Dilemma dar. Sie ist grundlegender Bestandteil unserer Existenz – und, nach dem berühmten US-amerikanischen Psychoanalytiker Irvin D. Yalom, die Antithese zum eigenen Tod (welcher der schwarzen Seite meines kleinen, Ying-Yang ähnelnden Kunstwerks oben entspricht). Unseren ‚Tod‘ fürchten wir natürlich, die ‚Freiheit‘ hingegen sehen wir symbolisch und begrifflich als etwas eindeutig Positives.

 

Unsere Freiheit – und unsere Angst

Dennoch ist immer das (Er)Leben unserer Freiheit mit existenzieller Angst verbunden. Denn es würde konsequenterweise ja bedeuten: Wir sind gar nicht wirklich „beschützt“, unser Leben folgt keiner vorgegebenen Bahn und könnte somit auch nicht „sicher“ sein. Und das gefällt uns gar nicht. Dieser Freiheitsbegriff bedeutet, dass man für sein Leben (seine Taten, und auch seine Lebenssituationen) selbst verantwortlich ist, da man es ja gestaltet. Wir sehnen uns aber nach Struktur, nach Bekanntem und nach Sicherheit. Wenn wir selbst gestalten und dafür Verantwortung übernehmen sollen, tut sich, metaphorisch betrachtet, hinter uns eine unendliche Weite auf – auch Sartres Verantwortungsbegriff (nämlich ‚Urheber zu sein‘) bedeutet ja vereinfacht, dass Nichts klar ist…

Was tun wir also? Wir verharren. Wir bleiben (in unserer Entwicklung) stehen, halten inne, weichen aus, verdrängen, spalten ab – oder übertragen Anderen die Aufgabe, etwas zu verändern. Zum Beispiel in Liebesbeziehungen, wo wir die Gestaltung dem Anderen überlassen und uns „so schön fallen lassen“ können. Ja, ich weiß, das ist jetzt gemein – passt doch aber so gut: Wir bemerken manchmal nach Jahren, dass wir nicht gleichberechtigt gestaltet haben. Und natürlich gilt das auch generell für alle Beziehungen von uns, zu anderen Menschen.

 

Freiheit in der Therapie

In jeder Therapie geht es ja darum, dass der Klient/Patient die Verantwortung übernimmt für die Gestaltung seines Entwicklungsprozesses. Gleichzeitig ist der Leidensdruck ja erst durch den empfundenen (wahrgenommenen) Stillstand so groß geworden, dass überhaupt Hilfe gesucht wurde. Sie oder ihn schnell ins Erleben zu bringen (des Problems, und dann aber auch möglicher Lösungen, ausprobierend) ist daher das Ziel körperintegrierter, systemischer Therapie. unsere freiheit

Wissen Sie, was der schwarze Fleck in unserer „Freiheit“ (symbolisch die weiße, linke Hälfte im Bild oben) bedeutet? Es kann zum Beispiel genau das Zögern meinen, das Sich-nicht-verändern-wollen, das Verweilen oder Abwarten, das wir Alle so oft praktizieren… Paradoxerweise empfinden wir es nicht selten als „genussvoll“, ebenso, wie wir ja auch nächtliche Feste, Rauchen, Trinken oder Ähnliches genießen, es aber (vollkommen sachlich betrachtet) uns eigentlich „schadet“. Ich bin weit davon entfernt, Ihnen von den „Lebensfreuden“ abzuraten. Es geht um das dionysische Prinzip. Und es ist der „tote Winkel“, den wir oft so sehr lieben und „pflegen“ in unserer theoretischen, möglichen Freiheit…