Ist es, dass wir uns im Anderen wiederfinden? Wir schwelgen in den Momenten dieses Wir-Gefühls, wo wir mit der/dem Anderen angeblich „so ähnlich sind“, wo wir all unseren Freunden erzählen, dass „uns beide so viel verbindet“. Und nicht selten blicken die Freunde bei unseren Ausführungen etwas irritiert, oder sie lächeln – weil sie dieses Gefühl kennen: Sich verliebt zu haben. Es ist dann gar nicht so wichtig, ob da tatsächlich so große Ähnlichkeiten sind…
Modus „verliebt“
Ist es, dass wir eine Art von (ganz bestimmter) Leere in uns spüren, welche die oder der Andere (das Objekt unseres Verliebtseins) vermeintlich „besetzen kann“ oder „zu füllen vermag“? Diesen Menschen, die uns so gut tun, weil wir mit ihnen lachen können, gut schweigen können, auf so „erfüllende Weise“ gut zusammen arbeiten können – diesen Menschen geben wir einen so hohen Stellenwert, und wir fühlen uns so sehr zu ihnen hingezogen, da sie in uns Etwas ermöglichen, was wir so gerne haben würden. Um nicht zu sagen: was wir so gerne besitzen würden. Passiert es dann nicht auch manchmal, dass wir (von unserem Gefühl her) diese andere Person dann auch am liebsten „besitzen“ würden?… verlieb sein
Ist es, dass die/der Andere in uns Etwas berührt, was schon da ist – ein Thema, eine Phantasie, eine Erinnerung, eine Handlungsmöglichkeit? Wir alle haben ja unsere Themen. Und im Laufe unserer „Ent-Wicklung“ geraten diese Themen in unser Bewusstsein und stehen zur Verarbeitung an: Unser „Reifungsprozess“ besteht im Grunde doch aus nichts Anderem, als dass wir bestimmte Themen nacheinander abarbeiten und/oder überwinden. Die Person, die das Thema berührt oder „triggert“, das bei uns gerade zur Bearbeitung ansteht – in diese Person verlieben wir uns. Im übrigen, und ganz damit verwandt, gilt auch: Die Person, die Themen antriggert, die bei uns (noch) nicht zur Verarbeitung anstehen, die empfinden wir als abstoßend, und wir entwickeln da auch mal Hassgefühle, manchmal ohne genau zu wissen, wer diese andere Person eigentlich ist, da wir sie (noch) gar nicht genau kennen. verliebt sein
Sprachwurzeln
3 Hypothesen zum Verliebtsein. Welche ist richtig? Meine systemischen Kollegen, die dies vielleicht lesen, werden jetzt schmunzeln. Alles ist richtig. Nur vollständig ist es nicht und kann es ja auch nie sein.
Ein anderer Ansatz – schauen Sie doch mal auf das Wort selbst:
(1) Sich (2) ver- (3) lieben…
Sich verlaufen, sich verfahren, sich verhaspeln, sich versprechen, sich verbiegen, sich verführen: Das Präfix „ver-“ vor dem eigentlichen Wortstamm zeigt uns etwas an: Denn Worte mit „ver-“ führen oft an der „eigentlichen Sache“ vorbei. Vergleichen Sie mal: „Jemand Anderes lieben“ und „Sich ver-lieben“… – vielsagend, nicht wahr? Unsere deutsche Philosophensprache ist so „wunder-bar“ und „groß-artig“…
Das „Sich verlieben in jemand Anderes“ zeigt also bereits neben der Selbstreflexiertheit („sich“) die übertragende Projektionshandlung an und beschreibt diese sogar. Ich hoffe, ich ent-zaubere dieses Gefühl jetzt nicht zu sehr für Sie.
Die guten Hormone
Wenn wir verliebt sind, stehen wir außerdem unter der Drogenwirkung des Glückshormons Dopamin, mit welchem unser Körper uns dann netterweise überflutet. Das ist ein wunderbarer Rausch – und die/der Andere täte gut daran, sich so zu „ver-halten“, dass es optimal in unser Bild von ihr/ihm passt, ansonsten könnte es dramatisch werden – denn die Entzugsphänomene sind (wie Jeder weiß und wohl schon erfahren hat) ziemlich heftig. Apropos Hormone: Männer senken zudem messbar in der Verliebtheitsphase den Hormonspiegel des Testosterons – und Frauen stellen dieses Hormon im Gegenzug vermehrt her! Somit gleichen sich beide in ihrem hormongesteuerten Ver-halten einander an und werden tatsächlich „ähnlicher als man [Freund] denkt“ (siehe oben).
Was machen wir nun mit diesem Wissen? Ich sage: Nichts. Denn nicht nur „ein Gentlemen schweigt und genießt“. Verstehen Sie mich daher bitte nicht falsch: Ich bin auch gerne be-trunken von diesem Ge-fühl…